Rückflug aus Bischkek – Glück im Unglück

Kirgisistan, September 2017. Wir sind auf dem Heimflug. Schweren Herzens lassen wir Kirgisistan zurück. Zehn wundervolle Tage liegen hinter uns. Die Reittour durch die Berge kann man mit Worten nicht beschreiben. Ebenso wenig die Tage in der eindrucksvollen Hauptstadt Bischkek, die die schneebedeckten Gipfel der Berge stets im Rücken hat. Nun befinden wir uns am Flughafen und warten auf unser Flugzeug nach Moskau.

Die Zeit verstreicht. Wir warten und warten. Philipp kaut neben mir nervös auf seinen Fingernägeln. Auch ich werde langsam unruhig. Wir haben nur knapp eine Stunde Aufenthalt auf dem Flughafen in Moskau. Ich habe nichts gegen eine Partynacht in Moskau einzuwenden. Da aber Sonntag ist, würden wir die Nacht wohl eher am Flughafen verbringen. Darauf habe ich so gar keine Lust. Denn so großartig ist der Flughafen in Moskau nun auch wieder nicht. Die sieben Stunden Aufenthalt dort auf dem Hinflug reichen mir völlig aus. Ich springe auf und laufe hin und her, um mich abzulenken. Da kommt sie auch schon, die leidige Durchsage, dass unser Flug Verspätung hat. Zum Glück sind es nur ein paar Minuten. Es besteht eine kleine Chance, dass wir den Anschlussflug doch noch erreichen können.

Der Flieger hebt zügig nach dem Boarding ab. Ich bin noch immer fahrig, versuche meine Nervosität aber Philipp zu Liebe zu verbergen. Wir rechnen uns während des Fluges aus, wie schnell wir den Flughafen durchqueren und zu unserem Flug gelangen können.

Es geschieht, wie es geschehen muss. Das Flugzeug landet an einer Außenposition. Hibbelig warten wir im Gang. Wir versuchen uns nicht zu sehr über die Leute aufzuregen, die ihr Handgepäck nicht aus dem Stauraum heben können und alle anderen aufhalten. Es dauert. Erleichtert atmen wir auf, als wir im Bus sitzen. Weitere Zeit verstreicht bis dieser endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, die Türen schließt und losfährt. Noch fünfundzwanzig Minuten, dann hebt das Flugzeug nach Frankfurt ab. Die Zeit verstreicht nur langsam, als wir eine Baustelle umfahren, anderen Fahrzeugen Vorfahrt gewähren und an einer roten Ampel warten müssen. Wer hätte das gedacht? Auch auf dem Flughafengelände gibt es rote Ampeln. Am Terminal angekommen, sprinten wir beide aus dem Bus über den Flughafen, kaum dass sich die Türen öffnen. Bei der Sicherheitskontrolle lässt uns glücklicherweise ein Herr nach vorne. Wahrscheinlich hat er die Panik in unseren Augen gesehen und Mitleid bekommen. Außerdem sind wir inzwischen auch ziemlich abgehetzt. Die wenigen Minuten bis durch die Kontrolle ziehen sich. Noch fünfzehn Minuten bis zum Abflug. Wir rennen wieder los. Ich bekomme schon Seitenstechen, aber der eiserne Wille, das Flugzeug zu erreichen, ist ungebrochen. Keuchend und schnaufend kommen wir schließlich fünf Minuten vor Abflug am Gate an. Die Crew will gerade das Gate schließen, als wir völlig außer Atem angejapst kommen und noch mitgenommen werden wollen. Wir versuchen, schnell und unauffällig auf unsere Plätze zu schlüpfen. Dennoch verfolgen uns einige missbilligende Blicke der anderen Passagiere. Leute, wir können doch auch nichts dafür.

Wir haben es geschafft, gerade noch so. Unser Gepäck fliegt wahrscheinlich nicht mit, dafür war die Zeit zu kurz. Aber das ist für uns kein Problem, im Gegenteil. Dann wird es sogar meist am folgenden Tag nach Hause gebracht und wir müssen unsere Rucksäcke nicht selbst tragen. Noch während ich versuche, zu Atem zu kommen, fällt mir plötzlich etwas ein. Ein einzelner Gedanke schießt durch meinen Kopf.  Der Adrenalinspiegel steigt wieder rasant in die Höhe. Ich versuche äußerlich völlig ruhig zu bleiben und drehe mich wie in Zeitlupe zu Philipp um. „Sag mal, weißt du, wo unser Hausschlüssel ist?“. Die Frage ist rhetorisch. Denn ich weiß längst, wo er sich nicht befindet. Richtig, im Handgepäck. Befindet er sich. NICHT. Ich sehe, wie Philipp bleich wird. Man kann ihm die Panik am Gesicht ablesen und sieht förmlich, wie sein Gehirn arbeitet. Wir haben den Schlüssel während des Reitens umgepackt, damit er nicht verloren geht. Er befindet sich gut verstaut in der Kopftasche meines Rucksacks. Was nun? Wir versuchen uns erst einmal gegenseitig zu beruhigen. So wirklich funktioniert das aber nicht. Also muss eine Lösung her. Der Ersatzschlüssel ist blöderweise bei der Nachbarin. Die ist im Moment im Urlaub. Ein Hotel schließen wir bald aus. Das wäre zu IAA-Zeiten in Frankfurt kaum zu bezahlen. Hoffnung ist auch keine wirkliche Alternative. Also Ausweichen zu Freunden. Um zehn Uhr nachts an einem Sonntag auch nicht die beste Lösung, aber unsere einzige im Moment.

Die Landung in Frankfurt kurz darauf läuft natürlich planmäßig pünktlich ab. Die Gepäckausgabe erfolgt ebenfalls ohne Verzögerung. Zumindest für die anderen Passagiere. Wir stehen, wie zu erwarten war, vergeblich am Gepäckband. Das verantwortliche Personal macht uns klar, dass wir frühestens morgen mit dem Gepäck rechnen können. Ich bin müde und ich friere. Kleidungstechnisch bin ich nämlich momentan noch auf dreißig Grad in Bischkek eingestellt. Das nasskalte Oktoberwetter in Deutschland habe ich mir irgendwie wärmer vorgestellt. Schmollend setze ich mich auf eine Bank und warte, dass Philipp unser Schlafproblem löst. Zum Glück haben wir sehr gute Freunde. Freunde, die trotz Neugeborenem und festem Job Sonntags um halb elf nachts noch die Schlafcouch herrichten. Ihren Hausschlüssel haben sie uns auch hinterlegt. Und sogar ein frisches T-Shirt in Männergröße. Ich bin erleichtert, als wir schlussendlich auf das Sofa fallen und schlafe fast sofort ein.

Glück im Unglück haben wir am nächsten Morgen. Das Auto war zur Reparatur, während wir in Kirgisistan waren. Es ist möglich, dass wir den Wagen vor die Haustür unserer Freunde liefern lassen. Mit dem Abholschein fürs Gepäck fahren wir mittags an den Flughafen. Das Gepäck ist schon da und wir erhalten es ohne Probleme. Erleichtert stellen wir fest, dass der Hausschlüssel genau da ist, wo wir ihn vermutet hatten. Wir kommen jetzt endlich daheim an. Philipp schafft es sogar gerade noch zu duschen und sich umzuziehen, bevor er das Haus wieder für einen Kundentermin verlassen muss. Ich kann meinen freien Tag genießen, ehe ich am nächsten Tag auch wieder zur Arbeit gehe.

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